Halbtagsseminar
Donnerstag, 28. November 2024, 9.45 bis 12.30 Uhr
Jugend- und Bildungshaus St. Arbogast
Reimer Gronemeyer
Der hierzulande bestens bekannte Prof. Reimer Gronemeyer konnte in St. Arbogast eine überaus große Zuhörerschaft begeistern, als er seine Lebenserfahrungen und Erinnerungen sowie Erwartungen in einen größeren gesellschaftlichen Rahmen einbettete. Der Frage nach der „Weisheit der Alten“ und den sieben „Schätzen“ war er bereits in seinem Buch (2018 erschienen*) nachgegangen; in seinem Vortrag behandelte er auch neueste Entwicklungen und Probleme.
Im ersten Teil führte er anhand einer kurzen Filmsequenz über eine 108-jährige Afrikanerin aus dem bitterarmen Hinterland von Namibia in das Thema der Schätze ein. Diese Frau, die die große Mehrheit der Menschen auf unserem Planeten verkörpert, verfüge über nichts, was für uns westliche Gesellschaften an Materiellem und Dienstleistungen selbstverständlich ist, die aber mit ihrem Leben einig sei, „ganz im Leben“ sei. Er forderte die Zuhörenden auf, sich an drei Möglichkeiten, das Schöne zu sehen, in ihrem eigenen Leben zu erinnern. Dies leitete über zu der Frage: „Was sind meine Schätze?“ Dafür gibt es keine einheitliche Antwort, zu verschieden sind die Prioritäten, die Menschen setzen. Jede/r erinnere sich jedoch an unverhoffte Glücksmomente, und die Sensibilität für das Schöne wachse häufig im Alter.
Ausführlich ging der Referent auf den Schatz der Erinnerung ein, der auch bittere Zeiten des Krieges und der Entbehrungen miteinschließt. Jüngere Menschen können davon profitieren, wenn sie die gegenwärtige Situation nicht als selbstverständlich voraussetzen. Die Gefahr, dass unsere Dienstleistungsgesellschaft nicht mehr reibungslos funktioniere, sei teilweise schon jetzt erkennbar, z.B. überlastete Pflegeheime bzw. Gesundheitsversorgung. Umso bedeutender wird der Schatz der Freundschaft und Liebe, der Netzwerke von Menschen, die sich um einen kümmern und denen wir vertrauen. Der Schatz der Erfahrung der Alten werde heute jedoch vielfach wenig genützt, denn das reine Wissen ist schnell überholt und man sucht Antworten eher im Internet als im Gespräch (eine „digitalisierungsbesoffene Gesellschaft“ nennt es Gronemeyer). Alte Menschen werden zunehmend ausgegrenzt, wenn sie sich mit Smartphones, QR-Codes oder Internetbanking schwertun.
Im zweiten Teil orientierte sich der Referent stärker an den „Schätzen“, die er in seinem Buch ausführt: Liebe und Freundschaft, Erfahrung, Erinnerung, Gelassenheit und die Verankerung in der Tradition und am Boden, auf dem man steht. Angesichts der vielen Menschen, die an der Konkurrenzgesellschaft und Hektik erkranken und an Erschöpfung, Depressionen, Angstattacken und Burnout leiden, könnte der Schatz der Gelassenheit ein Wegweiser auch für jüngere Menschen sein. Eine Haltung des „Geht mich nichts an!“ ist jedoch definitiv nicht damit gemeint. Im Bereich der Tradition verwies der Referent auch auf die schwindende Rolle der Religion, des Christentums und seiner Werte.
Prof. Gronemeyer betonte mehrfach, wie wichtig, aber auch schwierig der Generationendialog und Austausch ist, gerade zwischen Großeltern und Enkeln. Vielfach sprechen Junge und Alte nicht mehr dieselbe Sprache, aber durch ihr Vorbild können ältere Menschen viel von ihrem Erfahrungswissen weitergeben und Orientierungshilfen anbieten.
Edith Lutz, Team ALTER-nativ